Kanye West - Graduation
Kanye West - Graduation
VÖ.: 07.09.2007
Auf "College Dropout" wanderte Mr. West noch mit Jesus, kreuzte U- mit E-Rapmusik, entwarf Fitnesspläne und sampelte Lauryn Hill. Auf "Late Registration" brachte er Blutdiamanten ins Gespräch, deckte den Schuldigen für die Crackepidemie auf, betrauerte seine Großmutter und sampelte Curtis Mayfield. Auf "Graduation" feiert er sich selbst, motiviert sich selbst, erklärt sich selbst, erzählt von seinen Frauen und sampelt Daft Punk.
Wahrlich eine neue Stufe in Sachen Selbstverliebtheit im Hip Hop-Genre. Denn Kanye startet nicht den Hahnenkampf, wer denn nun der Beste ist. Nein, er schmückt sich ganz einfach mit prunken Federn und stolziert mit Louis Vuitton-geschwellter Brust aufs Parkett. Vorhang auf für "Mr. West, Mr. Fresh, Mr. by his self, he's so impressed!" Eine wahre Verkaufsveranstaltung für das eigene Ego. Oder besser: Perfekt die Möglichkeit genutzt, einem Millionenpublikum mal ein wenig von sich zu erzählen. Geredet wird sowieso und verkaufen tut sich das ganz sicher, denn Kanye weiß: "People talking shit but when the shit hit the fan. Everything I'm not, make me everything I am."
Inhaltliche Abwechslung gibt es also auf "Graduation" nicht. Und auf Album eins und zwei variierten Tempi und Töne auch öfters. Dennoch, und damit beweist Mr. West seine Klasse, wartet die dritte Platte des Hip Hop-Bohemien mit etlichen Glanzstücken auf.
Zwei davon sind bereits bekannt. Auf der ersten Single "Can't Tell Me Nothing" halten Young Jeezys Adlibs ein klaustrophobisches Bläsergerüst zusammen, während Kanyeezy dem Rest der Welt seinen ansehnlich Flow-Hintern zeigt ("This is my life homie, you decide yours."). Mit "Stronger", Single Nummer Zwei, gelingt Kanye die beste Verschmelzung von Dancemusic und Hip Hop seit MC Hammer. Denn, das sollte man nicht vergessen, heraus kommt dabei Popmusik. Einmal mehr, verdammte gute Popmusik. Diese pumpenden Drumsounds ziehen Daft Punk doch glatt die Masken aus.
Interessant ist "Graduation" tatsächlich immer dann, wenn Kanye inhaltlich und textlich auf richtig dicke Eier macht. Wenn er sich etwa den angesagtesten Rapper derzeit einlädt, den Song nach dem kontroversesten, aber besten Baseballspieler derzeit benennt und mit Lil Wayne auf "Barry Bonds" den richtig heißen Scheiß aus einem herrlich simplen Drumloop presst.
Oder etwa auf "Champion", bei dem sich das Steely Dan-Sample zwar nah an der Schmerzgrenze bewegt, aber im Zusammenspiel mit jovial hüpfenden Drums einfach so typisch Kanye West ist, dass nur noch völlig überhebliche Lyrics fehlen: "You don't see just how wild the crowd is? You don't see just how fly my style is? I don't see why I need a stylist when I shop so much I can speak Italian." Na also. Sowieso hat der Louis Vuitton Don die besten Ideen, wenn es um Mode geht: "I'm like the fly Malcolm X: Buy any jeans necessary." Da kann man nur fragen, wer zur Hölle auf so was kommt?
Eben jemand, der einen feuchten Dreck darauf gibt, ob man es peinlich findet, die Schnürsenkel der 300 Dollar-Sneakers auf die Farbe der neongelben Uhr abzustimmen. Auch musikalisch macht Herr West genau das, was ihm mundet. Und er kann sich sowohl das, als auch die 300 Dollar-Sneakers leisten. Denn gut ist "Graduation" ohne Frage.
Dass das Album nicht an die vorangegangenen Releases heranreicht, liegt erstens an Kanyes kurzlebigen Raps. Hochaktuelle popkulturelle Querverweise sind eben so langlebig wie die Popkultur selbst. Zweitens leidet Kanyes eigentlich gefeierter Facettenreichtum an sich wiederholenden Songstrukturen. Fast die Hälfte des Albums besteht aus Instrumentals, die ähnlich aufgebaut sind: eine Sample-Line und ein wuchtiger Boom Tschack. Im Einzelfall mag das begeistern (wie etwa auf "Stronger" oder "Flashing Lights"), bei dieser Anhäufung ermüdet es aber.
Und schlussendlich schneidet sich Kanye mit seinem übertriebenen Narzissmus ins eigene Fleisch. Wer thematisch nicht über den eigenen Gucci-Sonnenbrillenrand blickt, sieht am Ende vielleicht am stylishsten aus, hat aber den Blick fürs Wesentliche verloren.